Integration Behinderter 

(aus Kurier am Sonntag, v. 18.01.1998)
Immer vorwärts in die Drehung
Öffentlicher Tanzkursus für Rollstuhlfahrer und „Fußgänger“ in Delmenhorst

Von Britta Fengler

D e l m e n h o r s t. Der Hinweis, die Ecken sauber auszunutzen, klingt zwar noch in den Ohren, aber bei den Teilnehmern hapert es schlichtweg noch ein wenig an der Umsetzung: Kein Wunder, schließlich sind fast alle von ihnen Anfänger. Sie wollen tanzen lernen – eigentlich nichts Außergewöhnliches, wenn da nicht gehende und sitzende Teilnehmer wären.
RollstuhltanzDie Gehenden, das sind die „Fußgänger", und die Sitzenden, das sind die Rollstuhlfahrer. Sie haben sich zusammengefunden, um gemeinsam das Parkett zu erobern. Bis es soweit ist, wird in der „Villa" an der Oldenburger Straße in Delmenhorst einmal im Monat, jeweils sonntags, fleißig geübt.
„Drei Grundschritte links, drei zum Wechseln und vier Grundschritte rechts", erklärt Alexandra Hanke am ersten Trainingstag die Schrittfolge des Langsamen Walzers. Mit ihrer im Rollstuhl sitzenden Partnerin Sonja Lier zeigt die Fachübungsleiterin für Tanzsport, Profilbildung und Rollstuhltanz auch, wie es denn perfekt aussieht. Konzentriert schreiten die Teilnehmer anschließend zur Tat – und schon nach wenigen Runden ist so mancher aus der Puste. Anstrengend, aber schön – dieses Resümee ziehen fast alle am Ende der ersten Stunde ihres Tanzunterrichts.
Bereits am ersten Tag haben sie neben Grundschritten auch verschiedene Drehungen gelernt. „Wenn ich in die Drehung will; muß ich als Fußgänger immer vorwärts gehen", macht Alexandra Hanke klar. „Ihr könnt auch mit den Armen schunkeln", rät sie. Auf diese Feinheiten kann man nicht immer achten – denn so einfach, wie es aussieht, ist es nicht.
Ein kurzer Selbstversuch als „Fußgänger" bringt es ans Tageslicht: Konzentriert aufs Mitzählen der Schritte, mangelt es diesen dann an der notwendigen Leichtigkeit – und das, obwohl mein vorübergehender Partner im Rollstuhl intensiv mitarbeitet. Denn passiv verhalten kann sich der Rolli-Fahrer beim Tanzen nicht: „Man muß schon aufeinander achten und in der Hüfte ein bißchen mitgehen. Sonst wird es für den Fußgänger zu anstrengend", erläutert Sonja Lier.
Die junge Frau und ihre Partnerin Alexandra Hanke sind auf Einladung der Rollstuhlsportabteilung des Delmenhorster Turnvereins, die diesen ersten öffentlichen Tanzkursus; veranstaltet, zu Gast, in Delmenhorst. Nach Angaben von Wolfgang Barzynski ist es auch der einzige im gesamten Bremer Umland, Barzynski ist auch der Initiator des Kurses: Zum vergangenen Jahresende habe es viele Feierlichkeiten gegeben, und auch er als Rolli-Fahrer hätte da gerne getanzt, erläutert er. Doch unbeholfen wollte er nicht auf der Tanzfläche agieren, zumal „ja sowieso alle gucken". Da kam er auf die Idee, einen solchen Kursus auf die Beine beziehungsweise auf die Räder zu stellen, und unterbreitete in der Rollstuhlsportabteilung und beim „Rolli-Treff" seinen Vorschlag. Mitstreiter in den eigenen Reihen waren schnell gefunden, und auch Teilnehmer aus der Umgebung meldeten sich für den ersten Kursus an. Für weitere Neueinsteiger ist der Saal in der „Villa“ etwas eng (daher sucht die Gruppe auch einen größeren, kostenlosen Raum). Außerdem bauen die einstudierten Tanzschritte aufeinander auf. Wer sich dennoch informieren möchte, kann Wolfgang Barzynski unter Telefon 0 42 21 / 2 02 90 erreichen.