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Luxuswohnungen im Knast
Dem Bürger wird es nicht entgangen sein, daß im Lesumer Ortskern eine große bauliche Veränderung stattfindet. Es ist die ehemalige Jugendarrestanstalt hinter dem Polizeigebäude, die seit 1988 leer steht. Jetzt endlich wird sie aus dem Dornröschenschlaf gerissen, und mittels eines Stahl-Glas-Vorbaus zu einer besonderen Immobilie ausgebaut wird. Der Architekt und Investor Andreas SCHEMMEL selbst legte zuversichtlich im Juni 2002 den Grundstein. Sein Projekt sieht in Absprache mit der zuständigen Behörde vor, im Erd- und 1.Obergeschoß des Backsteingebäudes Gewerbe anzusiedeln, und im 2.Obergeschoß großzügige Luxuswohnungen einzurichten. Dabei, so wird verkündet, soll die Struktur der „Knastanstalt“ trotz transparenter Glaskonstruktion erkennbar bleiben. Das, so meine ich, wird wohl nach dem Umbau der bisher mittelalterlich wirkenden Trutzburg kaum noch zutreffen, zumindest von der Innenhofseite gesehen.

Die vorstehende Garageneinfahrt von dem ehemaligen Ortsamtleiters Arnold Thill, der mit seiner Familie in dem heutigen Lesumer Heimathaus, dem einstigen Domizil Lesumer Schulmeisters, bis Ende 1999 gewohnt hatte, wurde im Mai 2002 für eine erweiterte Hofeinfahrt abgebrochen. Der Innenhof, einst von mächtigen Mauern umgeben, ist für immer verschwunden. Ein Reststück der alten Gefängnismauer im Hof bleibt als Denkmal erhalten. Teile dieser Rotsteinmauer finden Wiederverwendung bei Ausbesserungsarbeiten am Gebäude. Seit Jahren versuchten Behörden erfolglos, das Gefängnis sinnvoll zu nutzen.

Im Jahre 1993 zog sich der norddeutsche Brauereiverband von seinem Vorhaben zurück, dort ein Jugendhotel für seine Auszubildende einzurichten. Die Planung des Oldenburger Peter VÖGE, aus dem ehemaligen Knast ein attraktives Kulturzentrum zu machen und hier ein komplettes Buchdruckzentrum einzurichten, scheiterte ebenso wie die Überlegungen eines Investors, hier Altenwohnungen mit Tagesstätte zu erstellen, dessen Träger die Innere Mission Friedehorst sein sollte. Aus dem jetzigen Gebäude mit insgesamt 900 qm Fläche sollen durch den Innenausbau und durch die Etagenausweitungen zum Innenhof hin gut 1000 qm Nutzfläche erreicht werden. Der Innenhof wird mit Ziegelsteinen ausgelegt, wobei die alten Klinkersteine vom südlichen Hofeingang über die Fläche verteilt augenfällig das Pflaster verschönern sollen. Für Nostalgie sorgen Kopfsteinpflaster an den Zugängen des Hofes. Nach Aussage des Poliers STÖVER können die ersten Bewohner das Weihnachtsfest 2002 in ihrer neuen Eigentumswohnung feiern. Einen erfolgreichen Start ist dem neuen Projekt auf diesem Weg zu wünschen.

Um uns ein Bild über diesen historischen Boden zu verschaffen, greifen wir in das Rad der Geschichte und versetzen uns in das Jahr 1851. Zu jener Zeit wurde durch eine Verfügung der Königlichen Regierung in Hannover das Amt- und Gerichtswesen neu geordnet. Sie machte auch dem „Geschlossenen Patrimonialgerichte Lesum-Schönebeck“, dessen Patronatsherr der Freiherr VON DER BORCH zu Schönebeck war, ein Ende. So bekam das alte Lesumer Kirchspiel ein eigenes Amtsgericht. Es wurde 1854 für 9622 Thaler auf dem Geestrücken an der 1830/32 ausgebauten Chaussee (Hindenburgstraße) nahe der Kirche auf dem Grundstück von Wischhusen, dessen Hofstelle sich auf der heutigen Stelle des Gemeindehauses befand (vor dem Gasthaus „Stadt Hannover“ von Diedrich MEYER und später VON DER FELSSEN, 1958 abgerissen), erbaut und in Dienst gestellt.
um 1854
vor dem neuerlichen Umbau

Das Königliche Preußische Amtsgericht mit der damaligen Numerierung 52 (heute als Polizeihaus die Nr.32) war ein nüchterner Rotsteinbau mit halbrunden Fenstern und mit einem flachen Zeltdach versehen. Vier Gefängniszellen hatte man dem Gebäude angefügt. Ganze vier Jahrzehnte hatte hier der erste Amtsrichter ADICKES (1854-1894) gewirkt, dessen Sohn Franz (1866-1915) Bürgermeister von Frankfurt am Main wurde. 1895 folgte Amtsgerichtsrat BERNHARD.

Die Zahl der Einwohner im Gerichtsbezirk Lesum war von 6553 im Zeitraum 1851 bis 1900 auf über 13000 gewachsen. Im Jahre 1905 waren es  bereits 14730 Menschen. Damit war eine Erweiterung des Gerichtsgebäudes dringend erforderlich geworden. In den Jahren 1912 bis 1915 erhielt das alte Gebäude einen großzügigen An- und Umbau. Während dieser Zeit wurde der Gerichtsbetrieb aufrecht erhalten. Zunächst wurde nördlich vom alten Amtsgericht ein freistehender Neubau erstellt. Anschließend folgte die Errichtung des mittleren Zwischengebäudes mit dem heutigen Portaleingang. Zum Schluß wurde das alte Gerichtsgebäude, nun zu einem Komplex vereinigt, im Inneren saniert und äußerlich in etwa der Struktur des Neubaus einschließlich der Bedachung angepaßt.

So verschwand der mittlere Eingang und die Bogenfenster erhielten ihre heutige, rechtwinklige Form. Das alte Amtsgericht verbirgt sich also in dem linken Gebäudekomplex des Polizeigebäudes. In einem schmuckvollen Relief eingefaßt erkennt man über dem Portaleingang einen preußischen Adler mit einem Zepter (Herrscherstab) in der linken, und einer Kugel (Macht über einer bestimmten Region) in der rechten Kralle.

Mit stetiger Zunahme der Einwohner stieg gleichfalls die Anzahl der Ganoven im Lesumer Kirchspiel, und so war es notwendig geworden, einen entsprechenden für die Zukunft ausreichenden Gefängnisbau zu errichten. Dieser wurde westlich hinter dem neuen Amtsgerichtskomplex mit einer zusätzlichen Hofmauer in den Jahren 1915-17 erbaut. Später, von 1954 bis 1988 diente dieser Bau nur noch als Jugendarrestanstalt. Nicht lange blieb das Gemäuer leer, da mußten noch einmal die Zellen kurzzeitig als Notquartiere mit Aus- und Übersiedler belegt werden. Der unaufhörliche Strom von Zuwanderer ließ der Behörde  keine andere Wahl. Seitdem sind 12 Jahre vergangen, ein neues Kapitel wurde nach der Grundsteinlegung aufgeschlagen. Ende März 2002 begannen die Vorarbeiten an der ehemaligen Haftanstalt.

Einige Anmerkungen zum heutigen Polizeihaus:
Der Verwaltungsbezirk „Amt Lesum“ ist schon 1859 dem „Amte Blumenthal“ zugeschlagen worden, aber das Gericht blieb als „Königliches Amtsgericht Blumenthal zu Lesum“ dem Dorfe erhalten. Um eine spätere Verlegung derselben entgegenzutreten, ließ die Gemeinde 1875 eine Amtsrichterwohnung (jetzt Ortsamt) für 21000 Mark erbauen. Von 1879 bis 1939 war Lesum ein selbständiges Amtsgericht.

Der im erstem Stock gelegene Gerichtssaal war in seinem Inneren im Geschmack der damaligen Zeit mit ausgeschmückten Jugendstil-Elementen ausgerichtet. Er wurde später Jahrzehntelang als Sitzungszimmer der Ortsamtsbeirate genutzt. Ein kleiner Raum, der als Vorführzelle für Straffällige diente, befand sich ebenfalls im oberen Stockwerk. Zwei dicke Türen verschlossen ihn.

Bis 1940 wurden die Räumlichkeiten vom Amtsgericht genutzt, das dann drei Jahre später nach Blumenthal abwanderte. Seitdem mußte sich die Polizei jahrzehntelang das Gebäude mit Behörden teilen; Klassenzimmer, Allgemeine Ortskrankenkasse, das Sozialamt, die Meldestelle und auch der Lesumer Heimatverein fanden hier zwischenzeitlich Unterkunft. 46 Beamte sollen in dem ersten Jahr auf dem 20. Revier ihren Dienst ausgeübt haben, 50 Jahre später war die Mannschaft oftmals bis auf nur vier Mann pro Schicht reduziert. Noch bis Anfang der 90er Jahre im vorigen Jahrhundert war die Inschrift „Amtsgericht“ über dem Portal erkennbar. Nicht unerwähnt sollen die mittlerweile durchgeführten Sanierungsarbeiten des 20. Polizeireviers bleiben, die vom Keller bis zum Dach schon längst überfällig gewesen waren.

Willi KRÜGER, Schullehrer und von 1975-1990 1.Vorsitzende des Lesumer Heimatvereins hatte 1974 in einem heimatlichen Aufsatz folgende Anekdote geschrieben:
Der erste Lesumer Amtsrichters Wilhelm ADICKES (1854-1896) sagte zu einem Angeklagten, der zum dritten Male vor dem Gericht erscheinen mußte: „Mein lieber, ich hoffe, daß ich Sie hier zum letzten Male sehe!“ Darauf erwiderte der andere treuherzig: „Aber Herr Richter, wollen Sie sich etwa versetzen lassen?“

Zusammengefaßt am 10.Oktober 2002 von Wilfried Hoins.