Integration Behinderter 

(aus dem Weser Kurier v. 11.10.1997)
Zwischenrufe stören ihn nicht 
Nachrücker in Hessen ist hörbehindert und contergangeschädigt

Andreas KammerbauerH o c h h e i m (dpa). Auch wenn Andreas Kammerbauer Neuling im hessischen Landtag ist, werden ihn Zwischenrufe kaum irritieren können: "Ich kann sie nicht hören“, lacht der 36jährige. Doch Kammerbauer ist nicht nur schwer hörbehindert: "Braune Haare, grüne Augen, stark verkürzte Arme, unterschiedlich lange Beine und dadurch bedingt eine Hüftverschiebung", beschreibt der Contergangeschädigte sein Äußeres. Seit Freitag gehört der 36 Jahre alte Diplom-Politologe aus Hochheim als Nachrücker für die zur Gießener Bürgermeisterin gewählte Karin Hagemann (Bündnis 90/Die Grünen) dem Landtag an. In der Fraktion der Grünen will er sich vor allem der Sozial- und Behindertenpolitik widmen.
Vor seinem Schicksal hat Kammerbauer nie kapituliert. Trotz seiner Behinderung spielte er als Junge Fußball, und noch heute ist er Vorsitzender des Sportvereins DJK SC 1974 Hochheim. Zweimal wurde er in seiner Heimatstadt zum Sportler des Jahres gewählt. Mit ähnlicher Energie verfolgte er seinen Bildungsweg: Mit der Mittleren Reife, die ihm die Gehörlosenschulen seiner Umgebung ermöglichten, gab sich Kammerbauer nicht zufrieden. In Stegen bei Freiburg fand er eine Schule, an der er das Abitur ablegen konnte. "Drei der vier Jahre, die ich dort verbrachte, war ich Schülersprecher", erzählt er.
Mit dem Abitur in der Tasche kehrte Kammerbauer 1982 nach Hochheim zurück und schrieb sich in Frankfurt für Politikwissenschaft ein. Nebenher engagierte er sich bei den Grünen und im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft "Hörbehinderte Studenten und Absolventen", außerdem gehört er dem vor wenigen Tagen gegründeten Landesbehindertenbeirat an. Seit 1985 ist er Kreistagsabgeordneter im Main-Taunus-Kreis, seit 1989 leitet er die Fraktionsgeschäftsstelle seiner Partei. 1992 heiratete er die ebenfalls schwerhörige Gymnastiklehrerin Karin Kärscher, mit der er zwei Söhne hat.
Mit Andreas Kammerbauer und der blinden SPD-Abgeordneten Erika Fleuren haben es im hessischen Landtag in Frankfurt zwei Schwerbehinderte zu einem Mandat gebracht.
Als eins seiner wichtigsten Ziele nennt Kammerbauer die Anerkennung der Gebärdensprache als gleichberechtigtes Kommunikationsmittel neben Laut und Schrift: "Bis zum Ende der Wahlperiode im Frühjahr 1999 hoffe ich, auch den erbittersten Gegner unter den Ministerialbürokraten von der Sache überzeugt zu haben."